Eine andere Idee von Hörfunk

Wir machen den Bert Brecht! – Mit diesem Slogan würde ich gerne für ein alternatives, modern-kulturelles (Web-) Radio werben. Der Spruch ist vielleicht nicht genial, aber erklärt den Rahmen einer Radiophilosophie, die bisher nicht gelebt wird: Hörfunk als Plattform zu begreifen und zwar im Sinne von YouTube. Nicht möglich? Mit CrowdRadio nicht mehr. Ich habe das heute getestet.

CrowdRadio ist eine Applösung, die jedem Radiosender eine individuelle App bereitstellen kann, mit der der Hörer einerseits via Web hören kann sowie das Programm einsehen kann, ABER AUCH das Programm mitgestalten. Das technische Prinzip ist ganz einfach: Ein Sendeplan wird von einem Redakteur über ein Web-Backend angelegt. Dort werden die Sendetermine als Kalender (ähnlich zu Google Kalender) mit Sendungstitel, kurzer Beschreibung und Sendungsbild angelegt.

Diese Sachen erscheinen später in der App des Radiosenders im Programmschema. Einzelne Sendungen kann man auch hervorheben, die dann auf der “Startseite” der App als Teaser erscheinen. Jetzt kann für jede Sendung eine Mitmachmöglichkeit für den Hörer aktiviert werden: Man kann zwischen Voting, Audio, Video, Text oder Foto auswählen und entsprechende Rechte vergeben.

Ob Text und Video bei Hörfunk groß genutzt werden, sehe ich skeptisch, da Texte wesentlich leichter via Mail oder Facebook gesendet werden können und Videos typischerweise etwas für YouTube sind bzw. es hier einen ganz konkreten Anlass bräuchte. Fotos hingegen könnten wir Facebook und den Webauftritt interessant sein – programmbegleitend.

Der Hörer hat jetzt mithilfe der Radioapp, die es übrigens für Android und iOS gibt, die Möglichkeit Eigenes zu den einzelnen Sendungen beizutragen. Bis auf Videos bleibt die Datenmenge dabei relativ gering – natürlich je nach Länge des Interviews. Wenn ein Inhalt eingereicht wurde, kann dieser ebenfalls über das Web-Backend abgerufen und verwaltet werden.

Was bietet die CrowdRadio App u.a. noch für Features:

  • Eine Engine, die es erlaubt, Nutzungsbedingungen zu definieren, sowie eine Nutzerregistrierung (E-Mail Verifikation) bereit stellt, um Nachfragen an den Einsender stellen zu können sowie einen Schutz des Interviewten bei Audioaufnahmen: Es muss erst ein vorgefertigter Erlaubnistext des Interviewpartners eingesprochen werden, bevor die Aufnahmefunktion aktiv ist.
  • Analyse Tools zur Auswertung des Nutzerverhaltens.

Technisch ist diese Software voll ausgereift – zumindest habe ich keine Fehler entdeckt – aber rein vom Umfang ist diese Softwarelösung derzeit hauptsächlich für UKW-Stationen erschwinglich. Trotzdem eröffnet sie die Chance, Radio nicht mehr länger als Berieselungsinstitution zu begreifen, sondern als schnell reagierende, ästhetisch-kulturelle Plattform.

Ob allerdings ein Großteil der Hörer die Hürde der App-Installation und Nutzung für die einzelnen Sendungen überwindet, ist Sache des Sendermarketings. Positiv lässt sich daraus jedoch ableiten: Mit dieser App wird das derzeitig eintönige Formatradio nicht funktionieren. Um wirklich eine Interaktivität zu schaffen, braucht es Special-Interest-Sendungen und Besonderheiten, die aus dem alltäglich-gewöhnlichen herausfallen bzw. darin auffallen und wirklich die Meme und Gefühle der Hörer ansprechen, z.B. Open Airs, Stuttgart 21 etc.

Allerdings sollte man nicht erwarten, dass sich der Hörer durch die App als Journalist versteht – ich denke eher, dass es gerade für junge, dynamische und liberale Leute ein Gadget werden könnte, um eine eigene Meinung präsentieren zu können und sich nicht mithilfe von Facebook zwischen oft pöbelnd-unüberlegten Kommentaren Gehör verschaffen zu müssen.

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Benjamin Hartwich

Benjamin Hartwich, M.A. Medien- und Kommunikationswissenschaften. Privat betreut er mehrere Webprojekte, bloggt und podcastet. In seiner Freizeit gestaltet er seinen eigenen Webradiosender. Mit 14 Jahren hat er ein Schulradio in Augsburg aufgebaut. Neben dem Studium arbeitete er 6 Jahre beim Campusradio Campus Crew als Moderator, Technikleiter, Musikchef und Programmchef mit.

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