Privatsphäre sollte groß geschrieben werden

Grün ist die Farbe der Hoffnung und im Internet ist sie inzwischen zu blau geworden. Die Hoffnung auf Akzeptanz, viele Gleichgesinnte und Aufmerksamkeit. Kaum eine Sache bewegt die Menschen – vor allem die Jungen – so sehr wie das soziale Netzwerk Facebook. 500 Millionen Nutzer weltweit, 10 Millionen allein Deutschland. Was wäre ein Tag ohne eine Statusmeldung, was ein solcher Post ohne Kommentar, was wäre ein Monat ohne eine Pressemeldung a lá „Facebook und Privatsphäre ist ganz pfui“.

So dürfen wir nun in den Medien konsumieren, dass der Bundesverband der deutschen Verbraucherzentralen (VZBV) nun Klage gegen Facebook erhebt. Grund hierfür ist – man kann es kaum noch hören – die mangelnde Privatsphäre und der Freundefinder.

Dabei würde man doch meinen: „Ihr seid doch selbst schuld!“ Da könnte man fragen, ob du dich denn fürs Fernsehen ausziehst oder für die Zeitung und man würde ein „Nein, natürlich nicht“ erhalten. Aber wenn man die gleiche Frage im Zusammenhang mit dem Medium Internet stellt, ist das Nein auf einmal nicht mehr so sicher. Kein Mensch würde sich in einem anderen Medium außer im Internet so bloß stellen. Da stellt sich doch die Frage, wieso? Das Internet ist viel größer und breit gefächerter als es überhaupt jemals z.B. ein Fernsehsender sein könnte; es ist unkontrollierbar und gleichzeitig sofort publik und das – technisch gesehen – auf der ganzen Welt. Was bewegt also Junge und gleichsam Alte dazu so viele Infos über sich preiszugeben?

Weil es eine geschlossene Gemeinschaft ist? Nein, bei 500 Millionen Nutzern kann man nicht mehr davon reden. Es ist die Grundunvernunft des Menschen, manchmal auch Triebe genannt: Neugierde und Sucht nach Gemeinschaft und Bestätigung. Schultz von Thuns 4-Ohren Modell lässt sich auch hier wunderbar anwenden, nur mit der einen dominierenden Eigenschaft der Selbstoffenbarung Dieser haben wir zu verdanken, dass man auf Facebook Bilder von ausgelassenen Partys findet, Statusmeldungen über privates Glück und Unglück und über persönliche Interessen und Leidenschaften.

Und jetzt gibt es Menschen, die Privatsphäre fordern inmitten von Milliarden Informationen, die bereitwillig gegeben wurden. Was kann Facebook denn dafür, wenn man von sich – und eines muss man ganz klar sagen: Jeder Mensch kennt das Geschäftsmodell von Facebook – alles preisgibt? Jeder hat es selbst in der Hand sich an- oder abzumelden.

Weiterhin ist es schon auffallend, dass die Aktivitäten der Menschen im Internet mehr bewegen als die im normalen Leben. Im Internet wird Privatsphäre als oberstes Kriterium gesehen, doch wenn man dann mal wieder in der Offline-Welt angekommen ist, merkt man, dass es dort genauso wenig Privatsphäre gibt. Dort werden andere nach Religion, politischer Einstellung und Charakter innerhalb weniger Sekunden abgestempelt und oft ins berufliche oder gesellschaftliche Aus geschoben. Auch hier gibt es scheinbar keine Privatsphäre und dafür ist die Medienbranche ein richtiges Vorbild – was schon fast ein Paradoxon ist.

People Business. Es interessiert nicht Leistung, sondern Teamfähigkeit oder auf gut deutsch, ob mir deine Nase passt oder nicht. Lässt sich diese Einstellung mit Privatsphäre vereinbaren? Einige werden sich nun denken, das ist nun einmal das Vorrecht von Unternehmen, sich Leute nach bestimmten Kriterien aussuchen zu dürfen, wie es ihnen passt. Doch dann braucht es keine Diskussionen mehr über Privates im Internet, wenn wir aus der Realität bereits wissen, dass diese nicht geachtet wird und wir auch danach handeln.

Dabei sind es doch uralte Gesetze und Regeln unserer Kultur und unseres Glaubens, die uns eigentlich genau das Gegenteil lehren. So gibt es im Christentum die „Goldene Regel“ – Liebe deinen nächsten, wie dich selbst. Oder die Philosophie aus dem alten Griechenland, die man seit 200 Jahren als neue Aufklärung verkauft. „Wer um Gutes weiß, der handelt auch danach“, so sprach einst Sokrates. Regeln für ein gutes Zusammenleben existieren eine Ewigkeit, doch sie finden kein Gehör mehr.

Und so wird es auch dieses Jahr zu Weihnachten wieder volle Kirchen geben mit Menschen, die die Farbe der grünen Hoffnung in sich tragen werden. Wollen wir hoffen, dass sie diese auch mit nach Hause nehmen.

Frohe Weihnachten!

Benjamin Hartwich

Benjamin Hartwich, M.A. Medien- und Kommunikationswissenschaften. Privat betreut er mehrere Webprojekte, bloggt und podcastet. In seiner Freizeit gestaltet er seinen eigenen Webradiosender. Mit 14 Jahren hat er ein Schulradio in Augsburg aufgebaut. Neben dem Studium arbeitete er 6 Jahre beim Campusradio Campus Crew als Moderator, Technikleiter, Musikchef und Programmchef mit.

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