Radio wird zum Relikt

Radio wird das gleiche Problem haben wie die Zeitung: Es wird keinen Sinn mehr in der bisherigen Form machen. Bei der Zeitung ist es u.a. der Aspekt jeden Tag Tonnen von Papier durch´s Land zu “karren”, nur um Nachrichten zu bekommen, die im Internet zu tausenden kursieren. Beim Radio ist es ähnlich: Wozu durch die Luft trällern, wenn ich genauso gut mit einfachen Apps meinen eigenen Musikgeschmack zusammenstellen kann, während ich via Newsreeder Spiegel Online und Andere abonniert habe?

Wie schon die Zeitung, verschläft das Radio ebenfalls den nötigen Umbruch. Bei der Zeitung war es damals u.a., dass man übersehen hat, dass es so etwas wie das Internet gibt und man dort auch Stellenanzeigen kostenlos und zu tausenden für alles und jeden einstellen kann. Doch was ist es beim Radio?

Im Internet sind sie alle, doch sie senden dort, als wäre es ihre Heimatstadt, die sie berieseln wollten und genau das ist einer der Fehler. Im Internet hat man eine ganz andere Öffentlichkeit als bei den klassischen Medien, denn im Internet kommt sie durch jeden, der es aktiv nutzt und damit generiert zustande und dabei spielt es keine Rolle, ob ich Journalist oder Hausfrau bin; mein “Werk” zählt genauso viel und ist auf gleicher Ebene angesiedelt. Wenn man also über das Internet z.B. Feedback bekommt, muss man auf jeden Fall zuhören.

Aber das ist nur das kleinste Problem. Das wirklich wesentliche Problem ist, dass sich die Einstellung der Menschen, die das Internet nutzen, gegenüber Welt und Menschenheit grundlegend ändert. Ich kann mit ein paar Klicks eine Band auf Myspace hören, die aus Australien, Afrika oder Mexiko kommt. Natürlich surfen die meisten nur in ihren bereits bekannten Seiten. Der Long Tail interessiert dabei auch nicht wesentlich, sondern die Plattformen an der Spitze und diese bündeln bereits die Welt, z.B. musikalisch. Was erlebt man auf Last.fm und Konsorten? Meinen iPod weltweit. Was erlebe ich im Radio? Die Verkaufscharts deutschlandweit, allerhöchstens noch verknüpft mit ein paar Nachbarländern.

Die zwei Hauptargumente der Radiomacher ihr Programm zu hören sind aber: Wir bringen wichtige und lokale Inhalte und wir geben den Leuten das Gefühl, dass da jemand ist, der mit ihnen redet. Zum ersten Argument ist zu sagen, dass sich bereits im Internet neue lokale Plattformen mit mannigfaltigen Informationen entwickeln oder bereits vorhanden sind, von denen selbst die Radiomacher ihre Infos erhalten und damit Beiträge machen. Das zweite Argument ist genauso schnell relativiert. Heute will keiner mehr berieselt werden, außer vielleicht mit ruhiger Musik während der Autofahrt, denn man will einfach mal seine Ruhe haben. Jeden Tag wollen so viele Dinge, Menschen und irgendetwas dazwischen die Aufmerksamkeit von jedem Einzelnen.

Vollkommener Quark wird sich der eine Radiomacher jetzt denken, der andere ganz heimlich, was er denn nur machen soll: Den Wechsel nicht verschlafen, sofern es nicht schon zu spät ist, siehe WahWah FM. Das ist der Trend und nichts wird ihn aufhalten außer ein paar Atomkraftgegner – womöglich. Sozial, interaktiv, individuell – das sind die Worte des Erfolgs in der Internetgesellschaft. Wer realisiert hat, was die Zeitungen falsch gemacht haben, braucht es nur in einer Analogie auf das Radio zu übertragen.

Wir sind die nächsten!

Benjamin Hartwich

Benjamin Hartwich, M.A. Medien- und Kommunikationswissenschaften. Privat betreut er mehrere Webprojekte, bloggt und podcastet. In seiner Freizeit gestaltet er seinen eigenen Webradiosender. Mit 14 Jahren hat er ein Schulradio in Augsburg aufgebaut. Neben dem Studium arbeitete er 6 Jahre beim Campusradio Campus Crew als Moderator, Technikleiter, Musikchef und Programmchef mit.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Michel

    Ja und Nein. Es ist gefährlich ein altbewährtes Medium zum Relikt alter Zeiten zu benennen. Und es ist noch gefährlicher Vermutungen darüber kundzutun, daß neue Ideen wie WahWahFM sich in der Breite durchsetzen werden. Keiner ist Hellseher.

    Meine These ist: Ja, die alten Radios werden massenhaft an Bindungskraft verlieren, wenn UKW irgendwann nur noch ein winziger Bestandteil von vielen Medienwegen ist (mobiles Internet, Internet zu Hause, UKW etc.). Das liegt aber auch daran, wie du schon erwähnt hast, die alten Medien sich regional orientieren, was zum Großteil über’s Netz nicht funktionieren kann.
    Auf der anderen Seite sehen wir selbst, daß regionale Inhalte für Menschen wichtig sind und auch wichtig bleiben. Das ist unabhängig von den Medien, die wir konsumieren.

    Du hast Recht, wenn du sagst, daß man heutzutage viele gute Alternativen hat sich dem “Formatfaschismus” und der immer gleichen Dauerberieselung zu entziehen. Doch seien wir mal ehrlich. Der soziale Gedanken fehlt und auch das “live dabei sein” Gefühl. Ich stelle die These auf, daß dieses Gefühl unheimlich wichtig wird, wenn plötzlich alles nicht linear verläuft und konsumiert wird. Der Mensch ist ein soziales Wesen, also will er nicht nur mit allen zusammen kommunizieren und schreiben (Facebook, Google+), sondern er will auch mit ihnen was zusammen erleben. Zim gleichen Zeitpunkt! Sei es ein Konzert nicht nur vor dem Bildschirm, oder eine Live Sendung.

    Dazu kommt auch die These, daß der Mensch ein faules Wesen ist. Natürlich haben wir so viele Möglichkeiten, doch wer will sie andauernd nutzen? Das ist die Frage. Ist es nicht angenehmer und wesentlich effektiver irgendwann sich doch einen Webradiosender zu suchen, der relativ zielsicher meine Musik trifft und auch mir die Infos über die Page oder Facebookgruppe verteilt, die ich bekommen will?
    Natürlich ist das angenehmer und vor allem kostest es weniger Zeit. Natürlich hat Pandora in den USA einen Riesenerfolg. Doch ich behaupte, daß das Livegefühl oftmals unterschätzt wird. Zum gleichen Zeitpunkt, das gleiche erleben. Das wird noch wichtiger als alle glauben.

  2. benni

    Natürlich ist es gefährlich in die Zukunft zu sehen, aber es ist halt Grundlage für eine vernünftige Diskussion – man braucht erstmal den Stachel…

    Mir ist schon klar, dass die Leute bei ihren gewohnten Angeboten bleiben, das hat sich im Internet nicht verändert, aber das entscheidende ist ja, dass die Möglichkeit besteht, es zu tun und es auch mehr Leute im Internet machen als zuvor z.B. mit Sat-Schüssel.
    Das andere, was du angesprochen hast, mit dem Live-Dabeisein, stimmt zu 100%, nur eben mehr bei Konzerten als beim Radio. Was ich damit meine ist, dass heute kein junger Erwachsener mehr es aufregend findet, wenn im Radio live ein Programm gemacht wird. Wieso auch, es ist normal! Dagegen gehen viel mehr junge Menschen auf kleine Veranstaltungen, gerade in der Studentenszene ist das so. Kleine Kneipen, Kleinkunstbühnen, Musik / Theater / Poesie und was sonst noch anfällt von ihresgleichen – das bewegt, aber Radioliveerlebnis, eh nein!

    Es wird weiterhin Menschen geben, die dieses Medium mit großem Gefallen nutzen, keine Frage, aber es werden mehr werden, die dieses Medium nur noch als Verkehrsfunk im Auto nutzen. Radio ist einfach nicht mehr in!

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